Jul 082015
 

Mein erstes Schuljahr an der Deutschen Auslandsschule in Cuenca in Ecuador ist ab heute beendet. Nach einigen letzten Wochen mit Nivelaciones (Zusatzunterricht für Schüler/innen, deren Note aufs Schuljahr gesehen als nicht bestanden zählt) und abschliessenden Supletorios gestern (Examan zum Ende der Nivelaciones, die so gut wie jeder besteht) ist es nun Zeit, den Kopf freizukriegen und bis Ende August die Unterlagen liegen zu lassen. Dann beginnt die zweite Halbzeit meines Vertrages, die Unterrichtsverteilung läuft in den nächsten Tagen. Als kleines Resümee vor den Ferien möchte ich aber noch einige Erfahrungen und Überlegungen reflektieren.

Zum Einen ist die Arbeitsbelastung eine andere als in Hamburg, aber nicht mehr oder weniger, eher anders gelagert. Unser Colegio hat den Titel „Exzellente Deutsche Auslandsschule“, wie viele andere auch, aber faktisch erscheint mir das Niveau wie das einer durchschnittlichen Gesamtschule. Es gibt nach ecuadorianischem Recht kein Sitzenbleiben und die Lerngruppen sind zwar mit fast ausschließlich Spanisch als Erstsprache sprachlich ziemlich homogen, aber vom Leistungsniveau sehr heterogen. Alle Schüler/innen schliessen erst mit der zwölften Klasse ab und Alle erreichen den nationalen Abschluss, es findet also faktisch kaum Selektion statt. Diese Heterogenität wird nur bedingt durch Differenzierung abgefedert, auch weil diese den Eltern nicht unbedingt vermittelbar ist und Ungleichbehandlung, also systematische Förderung mit verschiedenen Materialien, auch schonmal als Diskriminierung aufgefasst wird. Auch Inklusion ist ein Thema, aber ein relativ Neues und wie auch in Deutschland gibt es Vorbehalte und große Herausforderungen, besonders bei kaum differenzierender Unterrichtsgestaltung. Dadurch, das es sich um eine Privatschule handelt haben die Eltern viel Einfluss und sind besonders interessiert an guten Noten. Die Jugendlichen aus überwiegend reichen Familien tun sich überwiegend schwer mit Unterricht, der Selbstständigkeit und -steuerung fordert und sie werden stärker als in Deutschland umsorgt und behütet. Praktische Fertigkeiten wie beispielsweise etwas reparieren zu oder kochen zu können werden seltener wertgeschätzt. Dies ist sicher auch eher eine Frage der sozialen Klasse und weniger der Region in der ich gerade lebe.

Ein komplexes Feld ist die Kommunikation. So wird in Ecuador, wie global gesehen fast überall generell viel indirekter kommuniziert und bei Konflikten oder Unstimmigkeiten wird eine direkte Art wie die vieler Deutscher schnell als unhöflich aufgefasst. Die Schüler/innen sind Feedback-geben nicht gewohnt, haben aber eine überwiegend freundliche Haltung zu Lehrer/innen und es gibt weniger offene Konflikte. Auf der anderen Seite erwarten sie wie die Eltern eine gewisse Dienstleistungshaltung, tragen Konflikte indirekt aus und sind reproduktives, frontales Arbeiten mit hohem Anteil von Lehrervorträgen gewohnt. Da wird es der Lehrperson auch schonmal negativ ausgelegt, wenn Methoden eine hohe Eigenaktivität verlangen und dies vereinzelt als Schwäche interpretiert. Klar, das ich in einem oder zwei Schuljahren diese über Jahre antrainierte Haltung kaum durchbrechen werde und dass ich nicht Alles anders mache, als die Schüler/innen es gewohnt sind.

In vielen Fächern wird nach den am Lehrplan orientierten Schulbüchern gelehrt, teilweise wird dieses auch einfach von vorne bis hinten durchgearbeitet. Dies resultiert unter anderem aus der Ausbidung der ecuadorianischen Kolleg/innen, die nicht vergleichbar mit den deutschen Staatsexamen ist. Ein reines Fachstudium reicht aus, um als Lehrer/in zu arbeiten. Auch die Bezahlung und der soziale Status von Lehrer/innen ist geringer als in Deutschland und viele Lehrer/innen haben Zweitjobs. Zum anderen sind in staatlichen Schulen bis zu 60 Kinder oder Jugendliche in einer Klasse, so dass Schule auch einen ganz anderen Charakter hat. Dies ist an unserer Schule nicht der Fall, im Gegenteil haben wir kleinere Lerngruppen als ich es aus Hamburg kenne, aber unsere Kolleg/innen waren ja auch einmal Schüler/innen und nachweislich prägt die eigene Schulerfahrung und die Bildungsbiographie Lehrer/innen-Verhalten besonders. All dies heißt selbstverständlich nicht, dass die ecuadorianischen Kolleg/innen grundsätzlich schlechteren Unterricht halten, als die Deutschen.

Kritisches Denken und Handeln, was sich in Deutschland in jedem Rahmeplan findet und Schüler/innen nahegelgt wird, wird in Ecuador eher weniger positiv ausgelegt, der Anpassungsdruck an vorgegebene Werte und Moralvorstellungen ist höher (zumindest im Vergleich mit Hamburg, vermutlich ist Süddeutschland da auch noch anders). Es gibt auch Kopfnoten, die ich grundsätzlich ablehne. Reden werden häufig lange, ausgiebig und wenig zielführend gehalten aber dies gilt als wichtige Außenwirkung. Es wird monatlich (in staatlichen Schulen jede Woche) ein „acto civico“ mit einer Art Fahnenapell durchgeführt und Schuluniformen werden von Eltern wie Kolleg/innen für besonders wichtig gehalten. All dies hängt sicher auch mit der viel kollektiver strukturierten Gesellschaft Ecuadors zusammen, die viel weniger das Individuum hervorhebt und traditionelle Werte wie die Familie sehr zentral stellt, besonders im sehr katholischen Cuenca.

Ein wesentliches Charakteristikum besonders von kleinen Deutschen Auslandsschulen ist die hohe Fluktuation der deutschen Kolleg/innen. Es gibt kaum entsandte Beamte oder Angestellte und viele Ortslehrkräfte nicht nur in Cuenca. Diese bleiben teilweise nur ein Schuljahr und sonst üblicherweise zwei Schuljahre, selten länger. Dadurch gibt es Dynamiken und Potentiale durch junge, engagierte Kolleg/innen, aber auch nur zähe Veränderungen und dauernd Umstellungen für Schüler/innen und das Kollegium. Der Austausch mit Kolleg/innen anderer Schulen ist selten und fast ausschliesslich virtuell, da es zwar Fortbildungen und Kontakte zwischen den drei Auslandsschulen Ecuadors gibt, aber nicht vergleichbar der Situation in Deutschland, wo die Wege kürzer sind und mehr direkter Austausch möglich ist. Als Doppelbelastung sind die Anforderungen des ecuadorianischen Staates und deutscher Behörden zu erfüllen, was zu viel Papier- und Koordinationsarbeit führt. Manche Dinge sind hier nicht so selbstverständlich vorhanden wie in Deutschland, beispielsweise ist die Besteuerung von Importen sehr hoch, so dass Maschinen wie Kopierer viel kosten und nicht so umfangreich zur Verfügung stehen. Die Ausstattung ist ansonsten ziemlich gut, auch die Klassengrößen sind angenehm klein.

Es gibt zeitlich sehr umfangreich Unterricht, durchgängig 5 Stunden Mathematik von der 7. bis zur 12.Klasse, aber es passiert auch weniger in den Unterrichtsstunden, als ich es aus Hamburg gewohnt bin. Viele Deutsche sind stärker an Effizienz orientiert, was aber neben besseren Leistungen auch viel mehr Druck für alle Beteiligten mit sich bringt. Sport wird sehr hoch angesehen, wie scheinbar überall außerhalb Deutschlands sind sportliche Wettbewerbe und Feste integraler Bestandteil von Schule. Dafür gibt es zur Zeit weder Politik noch Erdkunde oder Vergleichbares als Fächer. Es ist schwierig, die Situation hier nicht dauernd zu bewerten und automatisch in Relation zu setzen, nur weil ich Schule anders kenne. Auch an der Deutschen Schule Quito, wo ich nun schon zweimal bei Fortbildungen war, gibt es unterschiedliche Erwartungshaltungen an Unterricht und Prioritäten zwischen ecuadorianischen und deutschen Kolleg/innen. Nicht nur sprachlich gibt es hier wie da Barrieren abzubauen, auch beispielsweise was als freundlich oder zuverlässig gilt, wie relevant Außenwirkung, Formalia oder Lernprozesse sind und vieles mehr wird unterschiedlich bewertet. Es ist natürlich nicht angebracht von „den“ Ecuadorianer/innen oder „den“ Deutschen zu reden, aber gewisse Prägungen treten doch immer wieder deutlich hervor.

Was ich bisher gelernt oder verstärkt mitgenommen habe ist eine Gelassenheit, die häufig unumgänglich ist, das nicht so rationale und effektive Plaudern über dies und das sowie das sich mit dem Bewerten zurückzuhalten und Situationen erstmal von verschiedenen Seiten betrachten. Es ist nicht alles einfach und toll, aber es gibt einige reizvolle Herausforderungen und neue Einsichten. Und natürlich das Fachliche, mein Spanisch, das ich jeden Tag verbessern kann, die Formate und Konzepte des IB-Diploma Programmes und Methoden und Konzepte zur Sprachföderung im Fachunterricht, da ich Physik für die Schüler/innen als Deutschsprachigen Fachunterricht, also in einer Fremdsprache anbiete. Ich freue mich aufs nächste Schuljahr und hoffe, meine Materialien und didaktischen Konzepte in einem zweiten Durchgang noch einmal überarbeiten zu können, sollte ich wieder Physik in der 9.Klasse und Mathematik in der 10. und 11. Klasse unterrichten können. In einem Jahr schaue ich weiter, vermutlich komme ich dann nach Hamburg zurück. Die nächsten Wochen lasse ich diesen Blog erst einmal ruhen.

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