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Zum Tode von Joseph Weizenbaum Der Kritiker geht, die Kritik bleibt bestehen

Er galt als Pionier der künstlichen Intelligenz - und als rigoroser Kritiker des naiven Fortschrittsglaubens: Am Mittwoch ist der Computerwissenschaftler Joseph Weizenbaum in Berlin gestorben. Helmut Merschmann erinnert sich an eine denkwürdige Begegnung mit dem Computerguru.

Als wir uns das erste Mal zum Interview trafen, im Sommer 2000 in einem Charlottenburger Café, passierte mir der journalistische Super-Gau. Das Aufnahmegerät versagte. Beim Abhören des Bandes durfte ich feststellen, dass nur die Bestellung aufgezeichnet wurde - zwei Milchkaffees - sonst nichts.

Zerknirscht rief ich Joseph Weizenbaum wieder an und schilderte ihm die Lage. "Sie ahnen gar nicht, wie viel Verständnis ich für technische Missgeschicke habe", erklärte er mir belustigt. Tags darauf spendierte ich ihm ein Frühstück, und wir wiederholten das Interview.

Damals war Joseph Weizenbaum seit vier Jahren zurück in Berlin. Es war die Hoch-Zeit der "New Economy" und der Computerguru war ein gefragter Gesprächspartner. In den lärmenden Jubel über die "digitale Revolution" wollte er nicht einstimmen. Weizenbaum war ein Skeptiker, verstand sich als Gesellschaftskritiker und bezeichnete das Internet gern als "riesigen Müllhaufen mit Perlen drin". Die naive Technikgläubigkeit, die überall zu beobachten war, verärgerte ihn maßlos. "Technik bezieht ihren Wert aus der Gesellschaft, in die sie eingebettet ist", lautete sein Credo, das sich aus ureigenster Erfahrung und Anschauung speiste.

Gegen künstliche Intelligenz

Ein Schlüsselerlebnis in dieser Hinsicht muss das von ihm 1965 entwickelte Programm Eliza gewesen sein, mit dem Weizenbaum die Probleme der computergestützten Verarbeitung von natürlicher Sprache untersuchte und eine Wende in die Debatte um Künstliche Intelligenz (KI) einleitete. Die Software simulierte ein psychoanalytisches Gespräch in schriftlicher Form. Da viele Versuchsteilnehmer tatsächlich annahmen, mit einer intelligenten Person zu kommunizieren, interessierten sich alsbald Psychologenverbände für den Einsatz der Software innerhalb der Psychotherapie. Weizenbaum zeigte sich schockiert darüber, dass formale Regeln, nach denen er Eliza programmiert hatte, mit Intelligenz verwechselt werden konnten.

Der Computerpionier entwickelte sich daraufhin zum schärfsten Kritiker seiner Zunft. Sein 1976 erschienenes und noch immer aktuelles Hauptwerk "Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft" plädiert nachdrücklich für ein ethisches Denken in den Naturwissenschaften. Besonders gegen deren vermeintliche Wertfreiheit richtet sich Weizenbaums Kritik. Dass Forschung und Wissen von der jeweiligen Kultur und dem Zeitgeist, denen sie unterliegen, zutiefst geprägt sind, erschien ihm als selbstverständlich.

Gerade in Deutschland hatten Weizenbaums Überlegungen und Impulse großen Einfluss auf die damals noch weitgehend technokratisch ausgeprägte Informatik. Es fand ein Umdenken statt. Heute gehören Lehrveranstaltungen zum Wechselspiel von Informatik und Gesellschaft zum selbstverständlichen Bestandteil der Vorlesungsverzeichnisse an Universitäten und Fachhochschulen.

Sinn und Verantwortung

Der 1923 in Berlin geborene Weizenbaum musste als Sohn einer jüdischen Familie 1936 vor den Nazis in die USA emigrieren, wo er Mathematik studierte und ab 1963 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) als Professor für Computerwissenschaft forschte und lehrte. Nach dem Tod seiner Frau kehrte Weizenbaum 1996 nach Berlin zurück und lebte die letzten Jahre im Nikolaiviertel, unweit des ehemaligen Elternhauses.

An die wissenschaftlichen Zirkel in Deutschland fand Weizenbaum nach seiner Rückkehr sofort Anschluss. Er erhielt zahlreiche Ehrendoktorwürden und Auszeichnungen, darunter das große Bundesverdienstkreuz. Wo immer es ging, mischte Weizenbaum sich in die Diskussion um Sinn und Verantwortung von Technologie ein. Dabei bezog er stets einen radikalen Standpunkt, den er amüsant und anekdotenreich zu untermauern wusste. Als Widerspruch empfand er es keineswegs, sich mit der Technologie, deren unbedachten Einsatz er so eloquent kritisieren konnte, eben auch gut auszukennen.

Informationsflut kritisch interpretieren

Noch im Januar, zu seinem 85. Geburtstag, zeigte sich Weizenbaum kämpferisch. "I am angry", sagte er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE und bezog sich damit auf die vielen Verfehlungen seiner Zunft. Als Beiratsmitglied des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung war es Joseph Weizenbaum ein besonderes Anliegen, auf einen ihm besonders missliebigen Zusammenhang hinzuweisen: die vielfältigen Verflechtungen der Informatik mit militärischer Forschung.

In einem Beitrag für die "Süddeutsche Zeitung", den er anlässlich seines Geburtstags verfasste, schrieb Joseph Weizenbaum: "Die höchste Priorität der Schule ist es, den Schülern ihre eigene Sprache beizubringen, so dass sie sich klar und deutlich artikulieren können: in ihrer stillen Gedankenwelt ebenso wie mündlich und schriftlich. Wenn sie das können, dann können sie auch kritisch denken und die Signale, mit denen sie ihre Welt überflutet, kritisch interpretieren. Wenn sie das nicht können, dann werden sie ihr ganzes Leben lang Opfer der Klischees und Schablonen sein, die die Massenmedien ausschütten."

Joseph Weizenbaum starb am 5. März nach langem Krebsleiden.