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Street-View-Start Google überrumpelt urlaubende Ministerinnen

Plötzlich soll alles ganz schnell gehen: Ab kommender Woche nimmt Google Einsprüche gegen das umstrittene Street-View-Projekt an - schon Ende des Jahres soll der Straßenpanorama-Dienst starten. Die Berliner Politik ist überrascht, der zuständige Datenschutzbeauftragte reagiert sauer.
Google-Fahrzeug in Berlin: Seit Monaten Widerstand in Deutschland

Google-Fahrzeug in Berlin: Seit Monaten Widerstand in Deutschland

Foto: DDP

Google

Berlin/Hamburg - Ein Konzern wie kennt keine Sommerferien. Erst recht nimmt der Internetgigant keine Rücksicht darauf, ob und wann das politische Personal dieser Republik im Urlaub ist. Und so hatte man an diesem Dienstag in zwei zuständigen Berliner Bundesministerien ordentlich damit zu tun, sich mit den urlaubenden Ressortverantwortlichen über die neuesten Entwicklungen in Sachen Google Street View zu verständigen.

Ilse Aigner

Leutheusser-Schnarrenberger

Verbraucherschutzministerin wurde von der Google-Offensive genauso überrumpelt wie ihre Justizministerin-Kollegin Sabine : Google, so hatte das Unternehmen am Vorabend mitgeteilt, werde seinen umstrittenen Straßenpanorama-Dienst bis Ende des Jahres in 20 deutschen Städten zwischen München und Hamburg starten - trotz der anhaltenden Kritik. Weil man diese ernst nehme, könnten Betroffene schon ab der kommenden Woche ihre Widersprüche abgeben, erklärte Google. Allerdings sind dann in etwa der Hälfte der Bundesländer noch Sommerferien.

"In den genannten 20 Städten können Mieter und Eigentümer vier Wochen lang die Unkenntlichmachung ihres Hauses in Street View mit Hilfe der neuen Funktion  anfordern", heißt es in einer Google-Erklärung. "Im Anschluss wird die Online-Funktion geschlossen, um Google ausreichend Zeit für die Bearbeitung der Anträge zu geben. Anträge, die sich auf Gebiete außerhalb der ersten 20 Städte beziehen, können danach weiterhin eingereicht werden." Auch die bereits vorliegenden Einsprüche würden natürlich bearbeitet, betont das Unternehmen.

So glaubt Google, den heftigen Gegenwind stoppen zu können, der dem erfolgsverwöhnten Unternehmen in Deutschland seit Monaten entgegenbläst. Und verweist andererseits darauf, dass es auch hierzulande ein Riesen-Interesse an dem Projekt gebe. "Viele deutsche Nutzer verwenden Street View bereits, um andere Länder in Europa virtuell zu besuchen", sagt der zuständige Produktmanager Raphael Leiteritz. Der in Google Maps integrierte Service zeigt Straße für Straße die Ansichten ausgewählter Städte und steht bisher in 23 Ländern zur Verfügung.

Harte Arbeit für Google in Deutschland

Dass Deutschland das 24. Land in dieser Liste sein wird, daran arbeitet Google seit Monaten. Es ist harte Arbeit. Denn Datenschützer, Zehntausende besorgte Bürger und die Bundesministerinnen Aigner und Leutheusser-Schnarrenberger stehen der Idee kritisch gegenüber. Immer wieder wurden Nachbesserungen beim Datenschutz gefordert. Innenpolitiker wie der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach dagegen stehen dem Projekt argwöhnisch gegenüber, weil sie Street View als Diebstahl-Hilfe sehen. "Für diejenigen, die ein Haus erwerben möchten, ist das ein angenehmes Hilfsmittel. Für diejenigen, die einen Einbruchdiebstahl planen, aber leider auch", sagte Bosbach am Dienstag.

Die CSU-Politikerin Aigner hatte mit den markigsten Worten vor Street View gewarnt. Aus dem Urlaub reagiert sie auf die Google-Überrumpelung nun mit vorsichtigem Optimismus - und ein bisschen Selbstlob: "Meine Forderung und die öffentliche Diskussion über die Veröffentlichung von Informationen über Häuser und Grundstücke im Internet bei Google haben Wirkung gezeigt." Die Widerspruchsmöglichkeiten seien begrüßenswert, findet die Ministerin. Doch ihre Grundskepsis bleibt: "Entscheidend aber ist für mich, ob das Versprechen, alle Widersprüche umzusetzen, auch eingelöst wird." Diese Vorbehalte äußerte auch der rechtspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stephan Mayer.

Man werde da ganz genau hinschauen, ist aus Aigners Ministerium zu hören. Das hat sich offenbar auch Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger vorgenommen - allerdings erst nach ihrem Urlaub. Vorher will sich die FDP-Politikerin gar nicht zu der Google-Offensive äußern.

Sehr laut meldet sich dagegen Hamburgs oberster Datenschützer Johannes Caspar zu Wort - er ist wegen des Sitzes von Google-Deutschland in der Hansestadt zuständig. Die kurzfristige Einführung des Online-Werkzeugs für Widersprüche bereits ab kommender Woche und der Beginn der Widerspruchsfrist in den Sommerferien ließen "durchaus Zweifel aufkommen, ob Google an einer einfachen und bürgerfreundlichen Umsetzung der Widersprüche interessiert ist". Caspar sagte SPIEGEL ONLINE: "Sorgfalt geht vor Schnelligkeit." Er bemängelt außerdem, dass Google es ablehne, eine Telefon-Hotline zur Beantwortung von Fragen der Bürger einzurichten. Stattdessen will der Konzern in den kommenden Wochen entsprechende Informationen über regionale und überregionale Medien verbreiten.

Was passiert mit den von Google gesammelten Daten?

Datenschützer Caspar sagt, er habe schon am Donnerstag vergangener Woche von Googles jüngsten Plänen erfahren. Doch sein Einspruch in der Hamburger Zentrale sei nicht berücksichtigt worden. Caspar treibt auch die Frage um, wie Google mit den erfassten Daten umgeht und wo sie gelagert werden. Diese Frage sei noch ungeklärt, sagt er.

Im Mai hatte der Hamburger Senat einen Gesetzesvorschlag in den Bundesrat eingebracht, der Google und Anbieter ähnlicher Produkte wie Street View zu hohen datenschutzrechtlichen Anforderungen verpflichten würde. Denn das Problem ist: Gesetzliche Regelungen in diesem Bereich gibt es bisher überhaupt nicht. Und auf exekutiver Ebene fühlt sich der unter anderem mit Netzpolitik befasste Bundesinnenminister Thomas de Maizière offenbar nicht zuständig. Auch die vom Bundestag kürzlich eingesetzt Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" ist noch weit davon entfernt, konkrete Handlungsaufforderungen vorlegen zu können.

"Die Folgen baden die Bürgerinnen und Bürger am Ende allein aus", sagt Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. "Ob und in welchem Umfang Widersprüche der Bürger Beachtung finden, soll Google überlassen werden."

Die Botschaft von Google an seine Kritiker: Vertraut uns. Sehr ungelegen kommt da die jüngste Street-View-Meldung aus Südkorea: Ermittler durchsuchten am Dienstag die Google-Büros in Seoul und beschlagnahmten Computer und Festplatten, wie ein Polizeisprecher mitteilte. Das Unternehmen werde verdächtigt, illegal persönliche Daten für Street View gesammelt zu haben, hieß es.

Mit Material von dpa