Heute ist es soweit, ich bin das erste mal auf einer offiziellen Fortbilung des IB (international baccalaureate / bachillerato internacional) im Fach Mathematik für das mittlere Niveau auf Spanisch. Ich und ein weiterer Kollege aus dem Fachbereich Mathematik sind drei Tage in Guayaquil, um mit Kolleg/innen anderer IB-Schulen über Vorgaben und Bewertungsgrundlagen aber auch didaktische Konzepte und Problemoriertierung zu sprechen. Es gab auch illustre Gäste, u.a. den Vize-Bildungsminister Ecuadors, der selbst Lehrer ist und einige Informationen zur Bildungspolitik gab, aber auch offizielle Vertreter/innen der IB-Organisation. Interessant zu hören war, das mehr öffentliche als private Schulen in Ecuador das IB anbieten, was sich die letzten Jahre entwickelt hat und von der Regierung gefördert wird.
Die Dozent/innen, die Workshops zu Englisch, Theory of Knowledge und einigen weiteren IB-Fächern heute und die nächsten zwei Tage geben, kommen aus ganz Lateinamerika von Mexiko bis Uruguay. Lehrer/innen sind vor allem aus ganz Ecuador anwesend, aber auch aus Kolumbien und Peru. Lateinamerika ist der Kontinent mit den weltweit schlechtesten Mathematik Ergebnissen im IB. Spitzen sind Asien und Europa. Zudem ist interessant, aber auch nicht verwunderlich, dass die Monografie, eine ausführliche schriftliche Arbeit, die für den IB-Abschluss obligatorisch ist, aber in einem gewählten Fach geschrieben werden kann, so gut wie nie in Mathematik angefertigt wird. Für eine gelungene Monografie in Mathematik sind die Anforderungen auch ziemlich hoch, aber sicher nicht unmöglich.
Es geht wie immer in Lehrer/innenfortbildungen um Zeitnot, volle Lehrpläne und die Frage, ob überhaupt Zeit für „didaktische Spielchen“ im Unterricht bleibt. Dazu muss gesagt werden, dass hier Kurse zwischen 5 und 7 Wochenstunden haben, also reichlich Zeit. Aber die Anforderungen an Selbstständigkeit, Problemlösefähigkeit und Verknüpfung von mathematischen mit fachübergreifenden Kompetenzen müssen gründlich und frühzeitig gelegt werden, was in den meisten Schulen der Region nur ungenügend der Fall scheint. Nach einigen Gesprächen über Materialien in der Unterrichtsplanung mit einem kleinen Beispiel, das ich noch nicht kannte arbeiten wir nun mit Geogebra. Hier haben einige Vorerfahrungen, aber nicht Alle. Daher habe ich gerade ein bischen Zeit, über andere Dinge nachzudenken. Klar gibt es auch wieder massig Vokabeln zu lernen, wie ich bereits an anderer Stelle schrieb erscheint mir die Arbeit in einer Fremdsprache die günstigste Form, meine Sprachkenntnisse zu verbessern, die ich jemals erlebt habe.
Das Beispiel zu Materialien möchte ich kurz anreissen, vielleicht inspiriert es den einen oder die andere:
Wenn ich Würfel übereinander staple und die Seiten, die sichtbar sind, zähle, ergibt sich eine arithmetische Folge. Wenn ich sie nebeneinander lege, ergibt sich eine andere arithmetische Folge. Dies kann als Einstieg in das erkennen mathematischer Muster und Folgen genutzt werden, vor allem wenn anschliessend die Problemstellung formuliert wird, welche Form der Anordnung am günstigsten ist, um möglichst wenig Seiten bei gleicher Anzahl offenlegen zu haben. Hier kann auch die Metapher der Tiere, die sich vor Frost schützen bemüht werden, da wenn sie sich zusammenrollen / kuscheln auch eine möglichst geringe Oberfläche Kontakt nach außen haben soll.
Vom Exemplarisch-Anschaulichen geht es daraufhin zum Formal-Abstrakten. Dies ist für mich (und für Euch vermutlich auch) nichts Neues, in Lateinamerika nach meinen Erfahrungen allerdings keinesfalls selbstverständlich.
Interessant erscheint mir auch der Blick von aussen, dass die Theorien, die hier angesprochen werden sämtlich nicht-deutschen Ursprungen sind, im Gegensatz zu meinem Studium in Hamburg, in dem fast ausschliesslich deutsche Autor/innen gelehrt wurden. Klar doppeln sich viele Theorien und Konzepte, aber die Sprache an sich erscheint mir in didaktischen Fragen in jedem Fall eine Hürde der wissenschaflichen Verständigung.
Ein praktisches Ziel des IB-Programmes der Mathematik gefällt mir besonders, und zwar die Verbindung von Erkenntnistheorie und globalem Blick in jedem Fachbereich. Zumindest theoretisch ist dies die ersehnte Mathematik im Kontext, die mir zumindest in meiner Schulzeit überwiegend gefehlt hatte. Kompetenzbereiche (habilidades) werden in der Mathematik im IB unterteilt in Gedankliches (pensamiento), Soziales (sociales), Selbstständigkeit (autogestión), Kommunikation (comunicación) und Investigation (investigación). Besonders wichtig ist dem Referenten die Prozesshaftigkeit der Mathematik aus konstruktivistischer Sicht darzustellen, was mir gefällt, aber die Vortragsform ist leider etwas ermüdent und wenig interaktiv. Ich bin aber gespannt und positiv, was die nächsten Stunden und Tage betrifft.