Als IB-Schule (international Baccalaureate) bekommen wir regelmäßig das „IB World“ Magazin zugesendet, das Neuigkeiten der Organisation sowie Berichte von IB-Schulen auf englisch enthält.
Das aktuelle Magazine beschäftigt sich mit „the classroom of the future“ und gibt Einblicke, was für Vorstellungen und Einschätzungen IB-Lehrer/innen und in der IB Organisation Beschäftigte in Bezug auf Technologie und Schule haben. Ich kenne mich mit dem US-amerikanischen Diskurs zu Medien, IT und Bildung wenig aus, ebensowenig mit dem in Großbritannien. Aus beiden Regionen kommen in diesem Magazin kaum kritische, wohl aber gelegentlich überschwenglich hoffnungsvolle Beiträge vor, was den Bildungswert von Technologie und IT angeht.
Die Grenzen der Technik werden eher in Ablenkung und Abhängigkeit gesehen, als in gesellschaftlich nicht wünschenswerten Kontrollmöglichkeiten, die individuelle Rechte gefährden (vgl. S.11 des Magazines). Die müßige Frage, ob Maschinen Lehrpersonen ersetzen können, wird mehrmals aufgeführt, aber auch gleich verneint. Interessant dabei sind auch einige Zahlen. So kommunizieren nach einer Studie der Organisation etwa 38% der Lehrer/innen im IB-Diploma-Programm in Großbritannien mindestens wöchentlich mit Schüler/innen über digitale Medien, genausoviele unregelmäßiger und damit nur etwa ein Viertel überhaupt nicht. Wie die Zahlen in Deutschland aussehen, weiss ich nicht, aber ich vermute weniger technikaffin.
Typisch abwegig erscheinen mir die Einschätzungen im Artikel „As easy as ICT“ (S.12), in dem davon geschrieben wird, dass Schüler/innen bereits als Expert/innen für Technologienutzung in die Grundschule einsteigen und häufig Lehrkräfte mehr von den Kindern lernen können, als die Kinder von den Lehrkräften. Dies mag auf der Bedienungsebene oft der Fall sein, gerade wenn, wie im Artikel erwähnt, 36% der unter 1jährigen bereits mit Touchscreens Kontakt hatten (auf welche Region sich diese Zahl bezieht, bleibt unklar, vermutlich nicht weltweit). Aber eine quasi sich von selbst ergebene Medienkompetenz durch schlichte Mediennutzung ist offensichtlich nicht realistisch, geschweige denn Kompetenzen über die Funktionsweise von digitalen Geräten und Verarbeitungsmechanismen (also informatische Kompetenzen).
Sicher können Lernspiele auch schon im Grundschulalter Fähigkeiten, die sich durch simples Üben einprägen lassen, wie Rechnen und Schreiben, fördern. Es wird auch nicht behauptet, das Technologie alles besser macht, aber viel ungezwungener (naiver?) der Einsatz von Technik schon für Kleinkinder ausgeführt. Auch das Potential, global über Distanzen multimedial kommunizieren zu können, wird im Magazin für Bildungszwecke erkannt und an einem Unterrichtsbeispiel vorgestellt. (vergleiche den Artikel „how to create memorable classes“, S.20) Aber das Schüler/innen durch die Nutzung von Technologie in ihrem Kommunikationsverhalten „kreativer“ (S.12) werden, halte ich so pauschal formuliert nicht für zutreffend.
Es gibt im Magazin einige Interessante Ansätze, wie game-based-learning, z.B. mit Minecraft und flipped classroom Konzepte aber eigendlich keine Diskussion über didaktische Passungen, ob nicht gewisse Kompetenzen mit einfachen, nicht-digitalen Mitteln mindestens genauso effektiv zu fördern wären. Im Artikel „Technology doesn’t change anything“ (S.15) wird sogar von durchgehender Leistungsmessung geschwärmt, als wäre es wünschenswert, ständig und jede Arbeit der Schüler/innen bewerten, bemessen und einordenen zu können. ‚Big Data‘ im Stile Google (statt sozialer Beziehung und individualisiertem Unterricht?) könne die Qualität der Bildung verbessern, wird dort behauptet. Google und Facebook kommen ohnehin ausschliesslich positiv weg in den Beschreibungen (was ich im Kontext Schule und Machtkonzentration nicht richtig finde).
Technologie-kritischer ist der Artikel „rise of the machines“ (S.16), der aufwirft, inwiefern Schüler/innen (in bestimmten Regionen der Welt?) sich ohne Internetzugang Lernen nicht mehr vorstellen können und den Effekt vom nebenbei online sein und damit sich seltener auf eine Sache konzentrieren als problematisch beschreibt. Als Problem wird die fehlende Selbstdisziplin, nicht die Technik ausgemacht. Könnte dies nicht auch fehlende (Medien)Erziehung statt fehlende Selbstdisziplin sein?
An anderer Stelle werden einige exemplarische Schul- und Unterrichtsprojekte aufgeführt, die mit Social Media gestaltet wurden, beispielsweise Twitter-Auswertungen im Politik-Unterricht und Diskussionen führen via Twitter im Mathematikunterricht (beides Oberstufe). (siehe hierzu auch eine kleine Sammlung von 2013)
Etwas futuristischer, aber auch fraglich ist der Artikel „the teacher of tomorrow“(S.31), wo vom Autor Headsets mit virtuellen Realitäten als zukunftsweisend gelobt werden sowie „Microdegrees“, das heißt kompakte Bildungshäppchen im Wochenformat statt jahrelange Allgemeinbildung, je nach Arbeitsmarktsbedarf. Vielleicht zukunftsweisend, aber sicher nicht wünschenswert denke ich.
Zusammenfassend fand ich das Magazin interessant, aus einem eher ungewohnten Blickwinkel für mich mit Stärken (Mut zum Ausprobieren) und Schwächen (Fetischisierung von Markt und Technik).
Wie weiter oben geschrieben kann ich nicht einschätzen, ob diese Tendenzen representativ für den Umgang mit Technologie und Bildung in den USA und Großbritannien sind, aber die offensichtlich anders als der deutsche Diskurs gelagerte Auseinandersetzung war mir Motivation genug für diesen Artikel. Interessant allemal, den Blick über den Tellerrand zu wagen, was „Andere“ so machen.