In den Osterferien hatte ich einmal Zeit und Lust, mich ein bischen mit Theorie und Unterrichtsmethodik zu beschäftigen, hab das Buch von Hilbert Meyer zu Unterrichtsmethoden gelesen und wollte einmal ein paar Gedanken dazu veröffentlichen. Das Standartwerk ist nun schon ziemlich alt und in vielen Auflagen erschienen und beinhaltet viele Anregungen, die auch nach dem Referendariat immer wieder helfen, die Unterrichtspraxis kritisch zu reflektieren. (H.Meyer, UnterrichtsMethoden, II: Praxisband. Frankfurt/M. 1987 (mehrere Auflagen), ISBN 3-589-20851-1)
Mir gefällt besonders der handlungsorientierte Ansatz und die Betonung der Sicht der SuS. Die Lernlandkarten zur Visualisierung finde ich einen guten Ansatz, auch wenn sie mir manchmal etwas unübersichtlich erscheinen. Es drängt sich förmlich auf, sie mit digitalen Medien zu visualisieren.
Aber ich habe auch einige Schwierigkeiten in Bezug auf meine aktuelle Unterrichtspraxis, d.h. auf Matheunterricht in der Oberstufe und Physik in der Mittelstufe, und die im Buch aufgeworfenen Theorien ausgemacht, die ich im Folgenden beschreibe. Natürlich lässt sich das Thema nicht erschöpfend in einem Blogbeitrag behandeln, daher bin ich über Anregungen und Kritik generell dankbar. Ich hoffe vor allem Kolleginnen und Kollegen mit Beiträgen wie diesem anregen zu können.Eines der Themen, das zu kurz kommt in Hibert Meyers Buch ist – vermutlich durch den Stand der Technik zur Zeit der Entstehung des Buches in den 80ern bedingt – Methoden mit digitalen Werkzeugen. Weder war das Internet als Medium in Sicht, noch die zahlreichen Computeranwendungen online und offline, die Apps für mobile Geräte und vieles mehr. Hier wäre ein „Update“ der Unterrichtsmethodik unter Einbeziehung diverser Werkzeuge dringend geboten. Möglicherweise gibt es dies schon, ist mir aber als allgemeine, überfachliche Methodik nicht bekannt.
Für den Mathematikunterricht hilft mir ganz besonders das praxisorientierte Buch „Mathematik unterrichten: Planen, durchführen, reflektieren“ von Bärbel Barzel, Lars Holzäpfel, Timo Leuders und Christine Streit (Cornelsen Scriptor, 2011), das uns im Referendariat empfohlen wurde und viele Standardsituationen des Mathematikunterrichtes diskutiert. Hier sind auch viele methodische Fragen aufgeworfen und skizziert, die sich mit den Ansätzen von Hilbert Meyer decken aber auch digitale Medien thematisiert und andere Autoren sowie fachdidaktische Entwicklungen in Schultheorie und -praxis einbezieht.
Blick auf meine Praxis – Mathematikunterricht und naturwissenschaftlicher Unterricht / DFU
Auf den ersten Blick erscheint die methodische Auswahl für Mathematik und Naturwissenschaften beschränkter als beispielsweise Sprachunterricht mit offenerer inhaltlicher Gestaltung und flexibleren Lerngegenständen. Eine Motivation zum Lesen des Buches war auch, in allen Lerngruppen und Fächern weniger Papierschlachten zu veranstalten , was nicht immer einfach ist und mit viel Austausch und Experimentieren verbunden ist.
Die von Hilbert Meyer als Fazit vorgeschlagene handlungsorientierte Unterrichtsmethodik ist einleuchtend, aber zumindest auf Mathematikunterricht übertragen nur bedingt vorstellbar, zumindest gemessen an den Rahmenplänen und Anforderungen, die SuS in der Oberstufe erfüllen müssen. Ein aktuelles Beispiel ist mein Thema in der 11.Klasse zur Vorbereitung auf den internationalen IB-Abschluss „trigonometrische Funktionen“. In diesem Kontext an den Interessen der SuS anzusetzen, Rollenspiele, Debatten oder Projekte „mit Kopf und Hand“ durchzuführen kann ich mir gerade kaum vorstellen. Das heisst natürlich nicht, dass die Interessen der SuS keine Relevanz hätten. Durch Feedback lässt sich eine Teilhabe an der Gestaltung des Unterrichtes in jedem Fach herstellen. Aber inhaltlich ist mir Partizipation im Mathematikunterricht bisher höchstens in Form von Aufgaben zur Auswahl begegnet aber nicht grundlegend und ich wüsste in meinem jetzigen Schulalltag auch nicht, wie dies möglich wäre.
Sehr gut in der Praxis des Mathematikunterrichtes umzusetzen und auch anzutreffen dagegen sind viele Spielformen, das Arbeiten mit Materialien und Modellen sowie Experimente. Eine Ausnahme, die darüber hinausweist bilden hier die Vorschläge von Martin Kramer in seinen Büchern „Mathematik als Abenteuer“ (http://www.unterricht-als-abenteuer.de), der auch Theaterelemente und Standbilder im Mathematikunterricht verwendet. Dies habe ich in der Praxis bisher weder selbst ausprobiert, noch passiv erlebt. Aber ich habe mir gerade seinen zweiten Band zu Algebra gekauft.
In der Physik der Mittelstufe habe ich es einfacher. Einerseits sind die Inhalte weniger abstrakt und die Handlungsorientierung drängt sich offensichtlich auf. Andererseits lässt sich besonders in meinem thematischen Kontext „Energie“ der 9.Klasse wunderbar projektorientiert arbeiten. Als Anregung aus dem Buch Hilbert Meyers habe ich mir überlegt mich auf die wiederholte Einübung bestimmter Methoden in bestimmten Lerngruppen zu fokussieren und nicht zu viel auf einmal neu einzuführen. So hatte ich kurzzeitig einen Blog in der 9.Klasse eingeführt, mit Postern Präsentationen erarbeitet, eine Exkursion durchgeführt und – da ich deutschsprachigen Fachunterricht (DFU) gebe – auch Vokabelkarten genutzt. Zusätzlich habe ich bisher mit Brainstorming Vorwissen zu Begriffen erarbeitet und dieses geclustert.
Das meiste davon werde ich bis zum Ende des Schuljahres noch einmal aufgreifen. Aber das Arbeiten mit dem Blog erwies sich bisher zu überfordernd in dem Kontext, den ich gewählt hatte. Ich hatte online recherchieren lassen und Kommentare schreiben lassen sowie die Projekt-Poster digital auf den Blog gestellt. Im zweistündigen Unterricht, der auch immer mal ausfällt, so zum Beispiel jetzt gerade durch zwei Wochen Schulpraktikum oder während des Deutschen Sprachdiplomes (DSD1) vor einigen Monaten, überlege ich für das nächste Schuljahr den Blog wegzulassen. Das ist schade, aber mit meinen begrenzten Möglichkeiten von zwei Wochenstunden passt es gerade nicht so. Oder ich muss den Blog anders einbeziehen und zu anderen Zwecken nutzen.
Ein zentraler Bereich, der ebenfalls erarbeitet werden muss und bisher etwas kurz kam, ist das systematische Dokumentieren von Experimentieren, Beobachtungen und Interpretationen. Ob sich hier auch digitale Werkzeuge anbieten, muss ich mir noch einmal überlegen, Erfahrungen damit habe ich nicht. Ich experimentiere immer wieder im Physikunterricht, aber habe bisher wenig Wert auf formale Strukturen dabei gelegt, z.B. in Form von Rastern oder Systematisierungen. Vermutlich brauche ich hierfür auch mehr als ein Schuljahr Unterricht mit der gleichen Lerngruppe. Damit wir uns gegenseitig in unserer Strategie verstärken versuche ich jetzt vermehrt die Methoden aus anderen Fächern in den gleichen Lerngruppen zu verwenden. Im Biologieunterricht, ebenfalls DFU-Fach, werden schon seit längerem Wortlisten in einem bestimmten Format verwendet, das ich nun übernommen habe. Im DSD1 werden mündliche Präsentationen verlangt, die ich durch mündliche Präsentationen im Physikunterricht im Vorfeld fördern konnte. Zudem können wir versuchen, den Wortschatz in gemeinsamen Lerngruppen redundant zu gestalten und bestimmte Formulierungshilfen in verschiedenen Fächern ähnlich zu verwenden. Ein interessanter Ansatz, den ich einmal ausprobieren will ist das „Geschichtenerzählen“ (H.Meyer, S.302) im Physikunterricht. Hier habe ich überlegt, aus meiner Ausbildungszeit als Mechatroniker beim DESY zu erzählen mit Fotos und damit subjektiv anschaulich physikalisch-technische Themen aufzugreifen.
Auch in Mathematik lässt sich das ein oder andere umsetzen und erweitern. So habe ich zu trigonometrischen Berechnungen in der 10.Klasse praktisch Baumhöhen mit den Strahlensätzen messen lassen oder die Höhe, die sich mit einer Leiter in einem vorgegebenen Winkel erreichen lässt praktisch überprüfen lassen. Ich bin auch ständig auf der Suche nach Anwendungen und Erkundungsaufgaben der Mathematik, die einigermaßen im Horizont und Interesse der SuS liegen könnten. Eine konkrete Idee, die mir gefällt, aber bei der ich noch nicht weiss, ob ich Zeit dafür finde, sind von SuS erstelle Erklärvideos als Produkte und Hilfestellungen für andere SuS, auch eine Idee, die bei Hilbert Meyer in Form von analogen Medien angeschnitten wird.
Im Mathematikunterricht ist die Sinnfrage oft im Raum, auch weil ich meine SuS versuche zu kritischen Fragen zu ermuntern, wenn ihnen etwas nicht schlüssig oder nützlich erscheint. Es ist aber auch so, dass problemorientiertes Arbeiten eingeübt werden muss, vor allem wenn Mathematikunterricht bisher fast ausschliesslich über Lehrervorträge und reproduktive Tätigkeiten lief und die Erwartungshaltung entsprechend ausgeprägt ist. Es gab auch schon Rückmeldungen wie „Wie soll ich das lösen, sie haben das doch vorher gar nicht erklärt“. Mathematik erscheint vielen SuS als besonders statisch und nicht wirklich diskutierbar. Diese Bild verhärtet sich bei entsprechend einseitigem Unterricht nach meinem Eindruck über die Jahre und führt zu SuS in der Oberstufe, die entweder ein pragmatisch-schicksalergebenes Verhältnis zur Mathematik haben oder bestenfalls SuS, die Spaß daran haben, logisch mathematisch zu arbeiten, aber nicht aus Sinnhaftigkeit.
Die Diskrepanz zwischen theoretisch Erlerntem und praktischen Problemen, die zu lösen sind ist so prägnant, dass es sich um zwei Welten zu handeln scheint. Gerade in dem IB-Kurs liegt der Sinn für viele SuS aber auch einfach darin, dass es eine zentrale Prüfung mit festen Vorgaben gibt, die sie bestehen wollen. So wie alle SuS sind auch sie dankbar über Anschauung, Kontextuierung und Handlungsorientierung, aber sie akzeptieren den Unterricht auch ohne. Das heisst nicht, dass die IB-Materialien und Aufgabenformate ohne Anwendungsbezug wären. Im Gegenteil habe ich noch nie zuvor soviele Querverweise aus der Mathematik auf philosophische und globale Themen gefunden, wie in den IB-Vorgaben. Ich wünsche mir aber auch im Mathematikunterricht mehr projektorientierten, handlungsorientierten Unterricht, nicht nur in Form der Visualisierung abstrakter Inhalte, sondern in Form von Anwendungen der Fachinhalte. Dafür müsste sich aber viel in den Vorgaben ändern, die wir ebenso wie in Deutschland auch hier haben. Oder die Mathematik müsste fachübergreifend im Sachkontext eingebettet werden. Hier ist das Schlagwort Modellierung in Hamburg von hoher Relevanz, aber hier in den nationalen Lehrplänen Ecuadors, an denen wir uns orientieren und in den Vorgaben des IB kaum anzutreffen (vergleiche auch: http://www.schule.at/portale/mathematik/teilgebiete-der-mathematik/angewandte-mathematik/detail/mathematische-modellierung-in-der-schule-beispiele-und-erfahrungen.html.
Mir scheint es so zu sein, dass Mathematik in der Gesellschaft dem Dilemma unterliegt, für fast Alles, was menschliche Zivilisation ausmacht Beiträge zu liefern, aber dabei so überwältigend kompliziert versteckt zu wirken. Die objektive und subjektive Relevanz von Mathematik für den Alltag liegt demnach weit auseinander. Wenige Menschen können ihre mathematischen Kompetenzen auch in Alltagshandlungen bewusst gewinnbringend einsetzen. Hierzu lese ich zur Zeit das Buch „Allgemeinbildung und Mathematik“ von Hans Werner Heymann (Reihe Pädagogik Beltz, 1996, siehe auch: http://did.mat.uni-bayreuth.de/~wn/hey.html), dass ich zufällig in unserer Schulbibliothek fand und das sich unter anderem genau mit dieser Diskrepanz zwischen objektiver und subjektiver Relevanz von Mathematik beschäftigt.
Was mir bei der Suche nach den sinnstiftenden Anwendungen hilft ist häufig ein Blick auf die historische Entwicklung des Themas. So revolutionierte die Trigonometrie beispielsweise die Navigation oder mache bestimmte Vermessungen erst möglich. In diesem historischen Kontext lassen sich Anwendungen aufbereiten. Ich habe versucht, die Nützlichkeit des Tangens für die Messung der Entfernung eines Bootes zu verdeutlichen oder zum Peilen einer Höhe. Aber auch dies ist für viele SuS nicht ausreichend sinnstiftend, da es keine Alltagsrelevanz für die Jugendlichen hat.
Ich habe noch niemanden getroffen, der (außerhalb seines technischen Berufes) nach seiner Schulzeit z.B. Funktionen zum Modellieren von Sachverhalten verwendet, Trigonometrie oder Potenzfunktionen in irgendeiner Form. Am ehesten noch Bruchrechnung und ein bischen Geometrie, also Konzepte die relativ früh gelehrt werden. Auch wenn dies an einigen Stellen die Arbeit z.B. bei Konstruktionen erleichtern würde, wird lieber umständlicher improvisiert, weil es an Anwendungskompetenz fehlt. Ein Fokus auf Modellierung würde sicher helfen, aber die mir bekannten, jungen Modellierungsaufgaben setzen meist an bestimmten Inhalten an, während andere schwerfälliger und wenig greifbar bleiben. Vor Jahren hatte ich ein Seminar an der Uni, in dem wir über das niederländische Konzept von „Wiskunde A“ und „Wiskunde B“ sprachen, das heisst einer Trennung von angewandter Mathematik und der wissenschaftlichen beruflich orientierten Mathematik in zwei getrennte Fächer. Das heisst verpflichtend als allgemeinbildend wird die angewandte Mathematik gelehrt und als Zusatz die abstrakte, fortgeschrittene Mathematik als Fach für diejenigen, die z.B. ein mathematisch geprägtes Studium anstreben. (vgl. z.B. Aufgabenformate http://www.wiskunde-examens.nl/keuze_vb1/keuze.htm und http://www.wiskunde-examens.nl/keuze_va12/keuze.htm)
Auch in Waldorfschulen scheinen mir interessante Ansätze zu existieren, z.B. Mathematik im Kontext beim Bau eines Bootes zu lernen oder bei anderen, händischen Arbeiten, die Planungen unumgänglich machen und damit Mathematik sinnlich erfahrbar machen. Dies erfordet aber ein Arbeiten jenseits von festen Stundentafeln in kurzen Takt, zum Beispiel in Form von fest installierten Projekttagen im Schulcurriculum.
Für mich ist diese Aufarbeitung vor allem in Hinblick auf mangelnde spanischsprachige Schulbücher, die Kompetenz- und Problemorientiert gestaltet sind oder Modellierungsaufgaben beinhalten, eine der größten Baustellen in der Unterrichtsvorbereitung. Dabei lässt sich Vieles auch nur in kleinen Schritten angehen und ich brächte mehr als ein oder zwei Schuljahre, um die Unterrichtspraxis nachhaltig zu verändern.